Spannungsfreiheit feststellen

Liebe Leserinnen und Leser,

mit diesem Artikel führen wir die Serie, mit mehreren Teilen zur Verhütung von Fehlschaltungen und Unfällen, fort. In dieser Serie geht es um die Anwendung der 5 Sicherheitsregeln. Aus gegebenem Anlass um die Regel 3 "Spannungsfreiheit feststellen".

Der Blick in Unfallberichte offenbart leider zu häufig, dass gerade bei nicht ordnungsgemäßer Anwendung der 5 Sicherheitsregeln fatale Unfälle passieren. Das unten stehende Bild zeigt einen zweipoligen Spannungsprüfer bis 1000 V, der von einem Monteur fälschlicherweise zum Prüfen der Spannungsfreiheit an einer 10 kV-Anlage zum Einsatz kam. Dadurch wurde ein Störlichbogen ausgelöst. Der Monteur erlitt Verbrennungen 2. Grades an der Hand und am Unterarm.

Bild: Zerstörter Spannungsprüfer nach Störlichtbogeneinwirkung (Quelle: BG ETEM)

 


Der Unfall führt uns vor Augen, dass wir uns vor der Arbeit ein umfassendes Bild über die Gegebenheiten an der Arbeitsstelle, die einzusetzenden Arbeitsmittel sowie über die Anwendung der Schutzmaßnahmen machen müssen.

 

  • Gefährdungsbeurteilung durchführen und das Restrisiko ermitteln.

Zudem wird von einer Elektrofachkraft erwartet, dass bei Unsicherheiten die Arbeiten abzubrechen sind.

Restrisiko zu groß =
STOP machen. Häufig führen Ablenkungen zum Fehlverhalten. 

Also: Konzentration und Aufmerksamkeit !

In diesem Beispiel fehlte die Gefährdungsbeurteilung und die Aufmerksamkeit: Passt der Spannungsprüfer zur Betriebsspannungsebene, Frequenz und den Umgebungsbedingungen?

Bild: Anlagenverantwortlicher / EFK beim Feststellen der Betriebsspannungsfreiheit


Spannungsfreiheit feststellen

Ganz präzise betrachtet kann mit einem Spannungsprüfer lediglich die Betriebsspannung / -Freiheit festgestellt werden. Nicht unbedingt die Spannungsfreiheit.

Die EFK weiß, dass Anlagen und Kabel wie Kondensatoren wirken und aufgeladen sein können. Diese Ladespannung muss mittels Regel 4 „Erden und Kurzschießen“ gegen Erde abgeführt werden. Erst dann haben wir sicher die Spannungsfreiheit am Betriebsmittel hergestellt.

Die Betriebsspannungsfreiheit muss allseitig, allpolig an den Punkten die kurzgeschlossen und geerdet werden sowie zusätzlich so nah wie möglich an der Arbeitsstelle festgestellt werden. Diese Maßnahme deckt auf, wenn:

  • beim Freischalten Schalter verwechselt wurden;
  • weitere mögliche Einspeisungen übersehen wurden, durch z.B. Rückspannung, Ersatzstromversorgung;
  • der Arbeitende seine Arbeitsstelle verwechselt hat.

Hinweis: Nach Arbeitsunterbrechungen besteht die Gefahr dass versehentlich die Arbeit an nicht freigeschalteten Anlagenteile fortgesetzt wird und ein Unfall passiert. Darum ist es lebenswichtig sich vorher immer davon zu überzeugen das es die richtige, gesicherte Arbeitsstelle ist. Durch das Feststellen der Spannungsfreiheit und / oder eine Erdungs- und Kurzschließvorrichtung an der Arbeitsstelle.

Die Spannungsfreiheit darf nur durch eine Elektrofachkraft oder durch eine elektrotechnisch unterwiesene Person festgestellt werden.

 

Die Spannungsfreiheit der freigeschalteten Anlagenteile ist festzustellen

 

  • mit Spannungsprüfern oder
  • mit fest eingebauten Messgeräten, Signallampen oder anderen geeigneten Vorrichtungen, wenn beim Ausschalten der Spannung die Veränderung der Anzeige beobachtet wird.

 

Die Verwendung von Vielfachmessgeräten zum Feststellen der Spannungsfreiheit hat in energiereichen Anlagenteilen zu hohem Restrisiko / Unfallgeschehen geführt, deshalb sind diese nicht zugelassen.

Sonstige ortsveränderliche Messgeräte sind zum Feststellen der Spannungsfreiheit geeignet, wenn sie auch den Bestimmungen für Spannungsprüfer entsprechen.

 

Spannungsprüfer und ortsveränderliche Messgeräte sind mindestens unmittelbar vor Gebrauch und nach Möglichkeit auch nach Gebrauch zu überprüfen, entweder an unter Spannung stehenden Anlagenteilen oder durch eine im Spannungsprüfer eingebaute Eigenprüfeinrichtung.

Gemäß DGUV Vorschrift 3 sind darüber hinaus Spannungsprüfer regelmäßig auf Einhaltung der genormten Grenzwerte zu überprüfen. Bei Hochspannungsprüfern sind es alle 6 Jahre.


Bei Kabeln und isolierten Leitungen darf, nachdem an den Ausschaltstellen die Spannungsfreiheit festgestellt worden ist, vom Feststellen der Spannungsfreiheit an der Arbeitsstelle abgesehen werden, wenn

 

  • das Kabel oder die isolierte Leitung von der Ausschaltstelle bis zur Arbeitsstelle eindeutig verfolgt werden kann oder
  • das Kabel oder die isolierte Leitung eindeutig ermittelt ist, z.B. durch Kabelpläne, Bezeichnungen, Kabelsuchgeräte, Kabelauslesegeräte.

Treffen diese Voraussetzungen nicht zu, so kann die Spannungsfreiheit an der Arbeitsstelle, z.B. im Muffenloch, auch durch Kabelschneidgeräte oder vorzugsweise mittels Sicherheitskabelschneidanlage festgestellt werden.

Die Anwendung eines Kabelschneid- oder Kabelbeschussgeräts stellt nicht in jedem Falle die Spannungsfreiheit in allen Leitern sicher. Darum sind zusätzlich technische und organisatorische Maßnahmen erforderlich wie z.B. Rückfragen bei der netzführenden Stelle.

Im Nie
derspannungsnetz ist z.B. in den benachbarten Stationen festzustellen, ob Sicherungseinsätze durchgeschmolzen sind. Für den Einsatz dieser Geräte müssen spezielle Betriebsanweisungen vorliegen.

Siehe ergänzende Literatur zum Thema:

DIN VDE 0105-100 unter 6.2. 4 „Spannungsfreiheit  feststellen“
VDE Schriftenreihe 13 „Betrieb von elektrischen Anlagen“
VDE Schriftenreihe 79 „Schaltberechtigung“

Auswahl und Einsatz von Spannungsprüfern

In Niederspannungsanlagen werden Spannungsprüfer nach DIN EN 61243-3 (VDE 0682-401), in Hochspannungsanlagen ab 1 kV nach DIN EN 61243-1 (VDE 0682-411 und DIN EN 61243-2 (VDE 0682-412) verwendet.

An dieser Stelle möchten wir Sie aus gegebenem Anlass auf die Rückrufinformation der Firma Fluke hinweisen.

Fluke hat ein Sicherheitsproblem identifiziert, das bestimmte zweipolige Spannungsprüfer Fluke T110, T130 und T150 betrifft. Die Messleitung kann sporadisch durch Biegungen ausfallen und ein falsches Ergebnis anzeigen. Die Hauptfunktion eines Spannungsprüfers ist dann nicht gewährleistet. Aufgrund dieses Risikos hat Fluke als Vorsichtsmaßnahme beschlossen, alle betroffenen Produkte freiwillig zurückzurufen und neue, gleichwertige Ersatzprodukte mit verbesserter Messleitung anzubieten.

Mehr erfahren unter: https://www.fluke.com/de-de/support/sicherheitsmitteilungen/tpt-recall