Unfallverhütung durch Anwendung der 5 Sicherheitsregeln

Schwerpunkt: Das sichere Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile

In diesem Artikel geht es um die Anwendung der 5. Sicherheitsregel "Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken".

Es hat in jüngster Vergangenheit erneut Unfälle bei der Wiederaufnahme der Arbeiten nach einer Unterbrechung (Pause) sowie beim Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile gegeben.

Zum Beispiel bei Revisionsarbeiten in einer Schaltstation. Dabei wurden benachbarte Felder mittels Kunststoffkette entsprechend der ASR A1.3 abgeschrankt. Die luftisolierte Mittelspannungsanlage war im Bereich der offenen Sammelschiene nicht abgedeckt, was ein unbeabsichtigtes Erreichen der Gefahrenzone zur Folge hatte. Die Elektrofachkraft erlitt eine Körperdurchströmung mit tödlichen Folgen.

Darum lautet unser Praktikertipp ergänzend zur fünften Sicherheitsregel „Benachbarte unter Spannung stehender Teile abdecken oder / und abschranken“. Der Hinweis auf dem Schild … abdecken oder abschranken… ist aus unserer Sicht nicht präzise genug und bietet zu wenig Sicherheit. Darum ergänzen wir in unseren Seminaren und im Praktikum  diese Regel mit UND. Dadurch wären sicherlich schon einige Unfälle verhindert worden.

Wir empfehlen daher eine Kombination aus Abschranken und Abdecken und Kennzeichnen. Die entsprechenden Sicherheitskennzeichnungen finden Sie in der ASR A1.3

In den allgemein anerkannten Normen und UVV ist festgelegt:
Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile sind alle Arbeiten, bei denen eine Person mit Körperteilen, Werkzeug oder anderen Gegenständen in die Annäherungszone gelangt, ohne die Gefahrenzone zu erreichen.

 
Die Gefahrenzone ist der Bereich um unter Spannung stehende Teile, in dem beim Eindringen ohne Schutzmaßnahme der zur Vermeidung einer elektrischen Gefahr erforderliche Isolationspegel nicht sichergestellt ist.

Bei Anlagen über 1 kV wird das Erreichen der Gefahrenzone dem Berühren unter Spannung stehender Teile gleichgesetzt.

Der Begriff "in der Nähe" ist sehr weit zu fassen. Daher sind bei der Festlegung des einzuhaltenden Sicherheitsabstands zum unter Spannung stehenden Teil viele Faktoren zu berücksichtigen, die letztendlich nur von einer Elektrofachkraft, dem Anlagenverantwortlichen vor Ort, gemäß der Gefährdungsbeurteilung bewertet werden können.

Einzubeziehen sind beispielsweise die Höhe der Spannung, die Anlagenbauweise, die Personalqualifikation, die auszuführenden Arbeiten sowie die Platz- und Umgebungsverhältnisse.

Am sichersten ist die Arbeitsmethode "Arbeiten im spannungsfreien Zustand" unter Anwendung der fünf Sicherheitsregeln.

 

Ist das Herstellen des spannungsfreien Zustands allerdings nicht möglich, muss der erforderliche Schutz gegen eine unzulässige Annäherung an berührbare Anlagenteile entweder

 

  • durch Schutzvorrichtungen, Abdeckungen, Kapselung oder isolierende Umhüllung (DIN VDE 0105-100, 6.4.2)
    oder
  • durch Abstand und Aufsichtsführung (DIN VDE 0105-100, 6.4.3)

 gewährleistet werden.

Das dient zum einen für die eindeutige Kennzeichnung der Arbeitsstelle (z.B. durch Ketten und Schilder) und der Arbeitsgrenzen sowie für eine physische Abgenzung / Barriere (z.B. durch Einsatz isolierender Schutzplatten) damit das Erreichen der Gefahrenzone verhindert wird.

In Innenraumschaltanlagen ist bei benachbarten Schaltfeldern (Schaltfeldtüren, etc.) darauf zu achten, dass die gesamte Schaltanlage in die Abgrenzung und Kennzeichnung mit einbezogen wird.

Die kombinierte Anwendung der vorhandenen Hilfsmittel ermöglicht es, wie im nachfolgenden Bild vorbildlich gezeigt, den Arbeitsbereich eindeutig und unmissverständlich zu kennzeichnen.

Dabei darf das Anbringen der Schutzmittel zu keiner Personengefährdung führen. Daher ist zum Anbringen der Schutzmittel innerhalb der Gefahrenzone und innerhalb der Annäherungszone entweder der spannungsfreie Zustand herzustellen, oder es sind Maßnahmen für das Arbeiten unter Spannung anzuwenden z.B. das Einbringen der Isolierplatte mittels Isolierstange.

Die Schutzvorrichtungen selbst müssen so ausgewählt und angebracht werden, dass eine Gefährdung durch elektrische und mechanische Überbeanspruchung ausgeschlossen werden kann. Sie müssen sich in ordnungsgemäßem Zustand befinden und während der Arbeiten sicher befestigt sein. Die Arbeitsstelle muss durch geeignete Abgrenzungen, z. B. Seile, Flaggen oder Schilder, eindeutig gekennzeichnet werden (Grenze des Arbeitsbereichs). Das Verwechseln von benachbarten Schaltfeldern muss dadurch ausgeschlossen werden können.
 

Zusammenfassende Tipps für das Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile
  • Zutrittskonzept und Qualifikation der Mitarbeiter sind gemäß Gefährdungsbeurteilung im Vorfeld abzustimmen. Abgeschlossene elektrische Betriebsstätten müssen verschlossen gehalten werden und dürfen nur von beauftragten Personen (EFK und EuP) geöffnet werden. Laien dürfen keine Schlüssel erhalten, da sie nach den Festlegungen der Norm zum alleinigen Zutritt nicht befugt sind. Die Art der Zugangsregelung und -überwachung für Laien wird vom Anlagenbetreiber festgelegt.
     
  • Der Arbeitsbereich sowie unmittelbar benachbarte unter Spannung stehende An-lagenteile und der Zugang zum Arbeitsbereich sind vor Beginn der Arbeiten durch den Anlagenverantwortlichen eindeutig abzugrenzen und zu kennzeichnen.
     
  • Während der Gesamtdauer der Tätigkeiten ist der Arbeitsverantwortliche für die Erhaltung der ordnungsgemäßen Abgrenzung und Kennzeichnung verantwortlich. Muss die Abgrenzung und Kennzeichnung verändert werden, darf dies nur durch den Anlagenverantwortlichen oder auf dessen Anordnung geschehen.
     
  • Die vorgegebene Reihenfolge der 5 Sicherheitsregeln ist wesentlich und daher einzuhalten. Sollte es wichtige Gründe geben, von der Reihenfolge abzuweichen, ist zu gewährleisten, dass die gleiche Sicherheit wie bei normaler Reihenfolge gegeben ist. Es kann erforderlich / sinnvoll sein, die 5. Regel vorzuziehen, z.B. um Verwechslungen beim Schalten durch Anbringen von Isolier-Ketten oder -Bänder vorzubeugen wenn eine Vielzahl von Schaltfeldern vorhanden ist.
     
  • Zur Unverwechselbarkeit des Arbeitsbereiches können zusätzlich Schilder angebracht werden.
     
  • Die Erteilung der Durchführungserlaubnis durch den Anlagenverantwortlichen an den Arbeitsverantwortlichen ist eine notwendige Voraussetzung für die Freigabe zur Arbeit durch den Arbeitsverantwortlichen an die Mitarbeiter/-innen seines Arbeitsteams. Dieser Prozessablauf kann mittels Freigabeschein dokumentiert und in Nähe der Arbeitsstellen ausgehängt werden. Empfehlenswert ist eine schriftliche Dokumentation der Einweisung immer dann, wenn Anlagenverantwortlicher und Arbeitsverantwortlicher nicht ein und dieselbe Person sind.
     
  • Auf Besonderheiten, rückwärtig anstehende Spannungen, ist hinzuweisen. Die Maßnahmen zur Abgrenzung und Kennzeichnung des Arbeitsbereiches sowie die Regelung des Zuganges sind zu erläutern.
     
  • Isolierende Schutzplatten sind vor dem Gebrauch auf Beschädigungen zu prüfen. Schmutz, Verunreinigungen und Feuchtigkeit sind vor der Benutzung zu entfernen. Platten aus Pertinax sind nicht mehr zulässig.
     
  • Die isolierende Schutzplatte dient nicht der zweiten Sicherheitsregel.

 

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Siehe ergänzende Literatur zum Thema

DIN VDE 0105-100 "Betrieb von elektrischen Anlagen"
VDE-Verlag Schriftenreihe 13 „Betrieb von elektrischen Anlagen“
DGUV Vorschrift 3 "Elektrische Anlagen und Betriebsmittel"
VDE-Verlag Schriftenreihe 79 „Schaltberechtigung“
ASR A1.3 "Sicherheits- und Gesundheitsschutzkennzeichnung"

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Wir freuen uns über Ihre Hinweise sowie den Erfahrungsaustausch mit Ihnen zu diesem Thema getreu unserem Motto:

NULL Unfälle durch NULL Fehlschaltungen

Herzliche Grüße,
Ihr Peter Pusch und Florian Pusch