Der sichere elektrische Betrieb von PV- Biogas- und Windenergieanlagen

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Bild: Kursteilnehmer im Windpark vor der Durchführung praktischer Schalthandlungen (Foto: Florian Pusch)

 

Im Jahr 2014 haben in Deutschland insgesamt 1,48 Mio. Anlagen Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt. Rund 23.000 Windenergie-anlagen hatten laut BDEW zahlenmäßig den zweitgrößten Anteil hinter der Solarenergie mit 1,4 Mio. Anlagen. Biomasse belegte den dritten Platz mit 13.500 Anlagen. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung steigt weiter an und damit auch die Verantwortung der Anlagenbetreiber eine sichere und stabile Versorgung zu gewährleisten. Der sichere Betrieb elektrischer Anlagen wird in der DGUV Vorschrift 3 sowie in der DIN VDE 0105-100 behandelt. Basis für die rechtssichere Organisation sind Auswahl, Einsatz und Aufsicht von qualifiziertem Fachpersonal.

 

Beim Betrieb elektrischer Anlagen sind elektrische Gefährdungen zu berücksichtigen

Eine besondere Gefährdung geht von Mittel-/ Hochspannungsanlagen, Transformatoren und Niederspannungs-Verteileranlagen aus. Elektrische Unfälle führen häufige zu schweren Verletzungen- oder im schlimmsten Fall zum Tod durch einen elektrischen Schlag oder Störlichtbogeneinwirkung. Mit einer Gefährdung durch elektrischen Schlag oder Störlichtbogeneinwirkung ist zu rechnen, wenn aktive Teile berührt oder unterschiedliche Potentiale überbrückt werden, oder bei einer Annäherung an aktive Teile die Isolationsfestigkeit unterschritten wird. Hohe Körperströme führen an den Ein- und Austrittsstellen zu Brandwunden sog. Strommarken und inneren Verbrennungen, deren Zersetzungsprodukte zur Vergiftung mit Todesfolge führen können. Sehr häufig kommt es durch elektrischen Schlag auch zu sog. Sekundärunfällen z.B. Absturz.

 

Die nachfolgenden zwei Unfallbeispiele verdeutlichen, dass bei elektrischen Arbeiten an Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien eine umfassende Qualifizierung der Mitarbeiter unverzichtbar ist.

 

Unfall 1

Für eine Windenergieanlage sollten zwei Monteure zwischen der Vollkompensation in einem externen Schaltschrank und dem Hauptschrank die elektrischen Verbindungen herstellen. Die Monteure öffneten zu Beginn der Arbeiten den Leistungsschalter. Erst dann konnte der Hauptschaltschrank geöffnet werden. Weiterhin unter Spannung befanden sich die Eingangsklemmen des Leistungsschalters sowie die Kabelführungen zur Beleuchtung und zur Versorgung des Computersystems.

 

Während der Anschlussarbeiten fiel ein Werkzeug im Schaltschrank herunter und ein blankes Kabelende kam mit einer unter Spannung stehenden Anschlussklemme des Hauptschalters in Kontakt. Es entstand ein Kurzschluss, der sich zu einem dreiphasigen Lichtbogen entwickelte. Die Monteure erlitten einen Schock sowie Verbrennungen im Bereich der Hände.

 

Die spätere Unfallanalyse ergab, dass die Monteure die 5. Sicherheitsregel „Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken“ missachtet hatten. Weder die Anschlussklemmen des Leistungsschalters noch der Kabelschuh wurden ausreichend abgedeckt, um eine Berührung von Anlagenteilen unterschiedlichen Potentials wirksam zu verhindern.

 

Bei Unfällen im Zusammenhang mit Photovoltaikanlagen denkt man zuerst an mangelnde Absturzsicherung bei der Montage auf Dächern. Auch die Gefahren für die Einsatzkräfte der Feuerwehr bei Löscharbeiten von PV-Modulen werden immer wieder diskutiert. Dass es bei Arbeiten an PV-Anlagen auch zu klassischen Stromunfällen kommen kann, zeigt der nachfolgende Fall von dem bereits die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse berichtet hat.

 

Unfall 2

Ein Monteur wurde beauftragt, an bereits installierten Wechselrichtern einer PV-Anlage eine Datenleitung zu installieren. Die Wechselrichter waren von der Netzseite getrennt. Der Monteur betätigte den DC-Schalter (Stellung „0“) und trennte die Stromzufuhr von den PV-Elementen. Beim Versuch, die Datenleitung an die Anschlusselemente anzulegen, erlitt er eine Körperdurchströmung und wurde ins Krankenhaus gebracht.

 

Ursache war ein nicht entladener Kondensator des Wechselrichters, bzw. die nicht eingehaltene Wartezeit, bis sich der Kondensator entladen hat. Auch im freigeschalteten Zustand können bei Wechsel- und Umrichtern durch nicht entladene Kondensatoren im Gerät noch hohe Berührungsspannungen auftreten. Der Wechselrichter hat hier die Aufgabe, den vom Solarmodul erzeugten Gleichstrom in einen stabilen Wechselstrom umzuwandeln, damit dieser in das öffentliche Netz eingespeist werden kann.

 

Für Arbeiten an Wechselrichtern gelten aus den oben genannten Gründen folgende Sicherheits- und Verhaltensregeln:

  • Arbeiten dürfen nur von einer Elektrofachkraft durchgeführt werden.
  • Besteht die Möglichkeit, dass es beim Freischalten oder auch nach Freischalten zu einer Gefährdung kommen kann, sind Schutzmaßnahmen zu treffen.
  • Die Kondensatoren sind vor jeder Tätigkeit zu entladen.
  • Es ist stets die jeweils vorgegebene Entladezeit zu beachten.
  • Informationen zur Entladezeit finden sich in der Bedienungsanleitung des Wechselrichters.
  • Es sind stets alle Betriebs-, Wartungs- und Sicherheitshinweise des Herstellers zu beachten.

Bei unklaren Situationen lässt sich jeder Wechselrichter an seinem Typenschild identifizieren.

 

Bei jedem Personenschaden untersucht die Staatsanwaltschaft, Berufsgenossenschaft und das Gewerbeaufsichtsamt. Der Unternehmer / Anlagenbetreiber steht mit seinem Führungsteam im Visier der Ermittlungen.
Das kleinere Übel sind Materialschäden, Versorgungsausfall und monetäre Verluste.

 

Darum sind im Vorfeld Maßnahmen zur rechtssicheren Organisation erforderlich, mit dem Ziel: Null Unfälle - Null Fehlschaltungen!

 

Der Unternehmer / Anlagenbetreiber muss ein geeignetes Organisationsmodell entwickeln, so dass der Betrieb zweckmäßig gegliedert ist, der Betriebsablauf funktioniert und die Verantwortungs-bereiche klar bezeichnet und abgegrenzt sind. Die Führungspflichten des Unternehmers und der betrieblichen Vorgesetzten ergeben sich aus Gesetz und Rechtsprechung zum sicheren Betrieb elektrischer Anlagen. Dazu gehören das Bedienen, Prüfen und das Arbeiten.

 

Sie lassen sich für alle Vorgesetzten in der betrieblichen Hierarchie auf folgende Verantwortung zurückführen:

  • Organisation
  • Auswahl
  • Einsatz
  • Aufsicht

Zentrales Element ist die Gefährdungsbeurteilung, die den Zustand von Betriebsmitteln und der elektrischen Anlage sowie die Bedienung des Umfelds berücksichtig. §5 des Arbeitsschutzgesetzes verpflichtet den Arbeitgeber, durch eine Beurteilung die für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefahren zu ermitteln. Das wird durch §3 der Betriebssicherheitsverordnung konkretisiert und vertieft. Bei der Betrachtung sind alle Gefahren zu erfassen. Dies umfasst sowohl klassische Unfall- und Verletzungsrisiken wie die elektrische, thermische, mechanische Gefährdung, Absturz, Lärm oder Strahlung aber auch weitere Rahmenbedingungen wie psychische Belastungen, erschwerte Informationsaufnahme oder Gefährdungen durch organisatorische Mängel.

 

Das grundsätzliche Vorgehen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung gemäß den technischen Regeln für Betriebssicherheit TRBS 1111 beinhaltet die nachfolgenden Punkte:

  • Informationen beschaffen
  • Gefährdungen ermitteln
  • Gefährdungen bewerten
  • Maßnahmen festlegen
  • Maßnahmen umsetzen
  • Wirksamkeit der Maßnahmen kontrollieren
  • Dokumentation

Wind-, PV- oder Biogasanlagen sowie Nebengebäude mit den enthaltenen elektrischen Anlagen sind als abgeschlossene elektrische Betriebsstätten zu betreiben. Der Zutritt darf daher nur Elektrofachkräften (EFK) oder elektrotechnisch unterwiesenen Personen (EUP) erteilt werden, denen spezielle Fachkenntnisse vermittelt wurden.

 

Elektrofachkraft ist, wer aufgrund seiner fachlichen Ausbildung, Kenntnisse und Erfahrungen sowie Kenntnis der einschlägigen Normen, die ihm übertragenen Arbeiten beurteilen und mögliche Gefahren erkennen kann. Zur Beurteilung der fachlichen Ausbildung kann auch eine mehrjährige Tätigkeit auf dem betreffenden Gebiet berücksichtigt werden. Allein die Tätigkeit auf einem bestimmten Gebiet bietet jedoch noch keine Gewähr für die in der VDE 0105-100 geforderten Kenntnisse und Erfahrungen. Die Überprüfung der Fachkunde ist durch eine verantwortliche Elektrofachkraft mit dem jeweiligen Fachvorgesetzten zu erfolgen. Für sicherheitsgerechtes Handeln sind Regeln, Bestimmungen, Festlegungen und Vorschriften die Basis und das Beurteilen übertragender Arbeiten ist sehr eng mit dem Erkennen von Gefahren durch Personen verknüpft.

 

Neben der Zutrittsregelung hat der Anlagenbetreiber dafür zu sorgen, dass sich die Anlage in einem sicheren Zustand befinden muss und natürlich nur solche elektrischen Anlagen und Betriebsmittel zum Einsatz kommen, die für die Beanspruchung durch die Betriebs- und Umgebungsbedingungen an der Arbeitsstelle geeignet sind. Für eine sichere Anbindung der Energieanlagen an das Netz sind Schaltanlagen im Einsatz. Schalt- und Schutzgeräte dienen dazu, den Schaltzustand von elektrischen Anlagen zu ändern.

 

In der VDE 0105-100 wird zwischen zwei Arten von Schalthandlungen unterschieden:

  • Schalthandlungen zur Änderung des elektrischen Zustands einer Anlage, zum Bedienen von Betriebsmitteln, Ein- und Ausschalten, Starten und Stillsetzen von Betriebsmitteln mit Einrichtungen, deren bestimmungsgemäßer Gebrauch gefahrlos ist;
  • Ausschalten oder Wiedereinschalten von Anlagen im Zusammenhang mit der Durchführung von Arbeiten.

An unter Spannung stehenden aktiven Teilen und Betriebsmitteln darf, abgesehen von den Festlegungen in §8 DGUV Vorschrift 3, nicht gearbeitet werden (§6 DGUV Vorschrift 3). Somit muss die Arbeitsmethode "Arbeiten im spannungsfreien Zustand" unter Einhaltung der fünf Sicherheitsregeln angewendet werden. Um Risiken und Gefahren eines Stromunfalls für die Mitarbeiter gering zu halten, müssen zur Herstellung des spannungsfreien Zustands und zum Erhalt des spannungsfreien Zustands für die Dauer der Arbeiten an der elektrischen Anlage die fünf Sicherheitsregeln eingehalten werden, sofern es nicht wichtige Gründe gibt, davon abzuweichen. Als erster Schritt ist vor dem Anwenden der fünf Sicherheitsregeln die Gefährdungsbeurteilung vor Ort und die eindeutig Festlegung des Arbeitsbereichs.

 

Die 5 Sicherheitsregeln

  1. Freischalten
  2. Gegen Wiedereinschalten sichern
  3. Spannungsfreiheit feststellen
  4. Erden und Kurzschließen
  5. Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken und/oder abschranken

Nach dem Freischalten unter Anwendung der fünf Sicherheitsregeln wird die Durchführungserlaubnis vom schaltberechtigten Anlagenverantwortlichen an den Arbeitsverantwortlichen möglichst schriftlich erteilt. Nur der Arbeitsverantwortlichen erteilt die Freigabe zum Arbeiten. Nach Beendigung der Arbeiten läuft die Prozedur in umgekehrter Reihenfolge ab. Obwohl im Regelwerk das Freigabeverfahren nicht in schriftlicher Form gefordert wird, ist es sinnvoll, das Verfahren zu dokumentieren. Diese Dokumentation mit dem Schaltbrief garantiert einen sicheren Arbeitsablauf. Es sind Checklisten die sich bewährt haben, z. B. das vor dem Zuschalten alle Erdungs- und Kurzschließgarnituren entfernt wurden.

 

Was für das Führen eines Fahrzeugs im Straßenverkehr gilt, trifft auch auf die Schaltung von Hoch-/Mittelspannungsanlagen zu: Ohne eine Lizenz, eine Erlaubnis für Schalthandlungen, geht es nicht. Betreiber von Mittelspannungsanlagen sind daher verpflichtet sogenannte „zur Schaltung qualifizierte Mitarbeiter“ in ihrem Betrieb zu beschäftigen. Die bereits erwähnten Kenntnisse und Fähigkeiten einer Elektrofachkraft reichen für die Erteilung der Schaltberechtigung nicht aus.

 

Ein Schaltgerät kann jeder elektrotechnische Laie ein- oder ausschalten. Bei der professionellen Schaltberechtigung geht es um mehr. Wenn eine Kabelstrecke oder ein Transformator freigeschaltet werden soll, muss sich die Person vorher Gedanken über die Auswirkung der Schaltung machen. Welche Absprachen müssen getätigt werden? Wer ist wann zu informieren? Können vorher, in einer anderen Spannungsebene, Netzumschaltungen vorgenommen werden um eine Versorgungsunterbrechung zu verhindern? Welche Stromflusswege gibt es noch, die freigeschaltet werden müssen?

 

Bei einer nicht geplanten Schaltung – also bei einer Störung – liegen die Anforderungen bedeutend höher, weil situationsbedingt gehandelt werden muss. Hier ist eine sehr gute Qualifikation, gepaart mit Erfahrung, erforderlich.

 

Gemäß Fachbuch der VDE-Schriftenreihe 79 benötigt die schaltberechtigte Elektrofachkraft, der Anlagenverantwortliche die nachfolgenden Zusatzkenntnisse:

  • Ortskenntnisse
  • Anlagenkenntnisse
  • Netzkenntnisse
  • Lastflusskenntnisse
  • Brandbekämpfung gemäß VDE 0132
  • Erste Hilfe
  • Sonstige Spezial- und Prozesskenntnisse, die im Unternehmen erforderlich sind

Durch die Erfolgskontrolle - einen Befähigungsnachweis in Theorie und Praxis - wird die Qualifikation dokumentiert. Der „Bestellvorgang“ durch den Unternehmer bzw. die Führungskraft (VEFK) erfolgt in schriftlicher Form. Auch das Energieversorgungsunternehmen, dass die eingespeiste elektrische Energie übernimmt, fordert vom Anlagenbetreiber einen Ansprechpartner, einen schaltberechtigten Anlagenverantwortlichen, oder bietet diese Dienstleistung an, wenn nicht vorhanden.

 

Wer als pflichtbewusster Unternehmer / Anlagenbetreiber die Kompetenzen in seinem Betrieb so organisiert, muss nach einem Unfall keine haftungs- und strafrechtliche Konsequenzen befürchten. Das gleiche gilt für die vom Unternehmer eingesetzten verantwortlichen Elektrofachkräfte, Vorgesetzte und Aufsichtspersonen, die Anlagen- und Arbeitsverantwortung übernehmen.

 

Die rechtssichere Organisation trägt dazu bei, Fehlschaltungen, Schäden und Unfälle zu verhüten

  • zur eigenen Sicherheit und Gesunderhaltung,
  • zur Abwendung von Gefährdungspotential für Kollegen und Mitarbeiter,
  • zum Schutz der Umwelt
  • sowie für eine sichere Energieversorgung.